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Menschenrechte - eine freiwillige Sache?

„Menschenrechte sind echt lästig! Mit denen kann man gar nicht arbeiten (lassen)!“ So oder ähnlich stelle ich mir den Ausruf eines Sweatshopbetreibers vor, der sich mit gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Menschenrechte konfrontiert sieht. Letzte Woche wetterte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Ingo Kramer gegen die Pläne der Regierung, ein mögliches Gesetz zur Einhaltung der Menschenrechte zu verabschieden: "Hier wird eine faktische Unmöglichkeit von den Unternehmern verlangt: Sie sollen persönlich für etwas haften, das sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können", erklärte er. Stefan Kuzmany von SPIEGEL ONLINE hat Kramers Heuchlerei auf den Punkt gebracht. Wirtschaftsliberale Argumente betonen einerseits die Signifikanz der Globalisierung der Finanzwirtschaft und der Warenflüsse. Diese nützen schließlich der Wirtschaft, weil Investoren bei niedrigen Steuern im Land und Produkte bei niedrigen Arbeitskosten wettbewerbsfähig bleiben. Menschenrechte, die ja so etwas wie die globalisierte Form von Normen und Werten darstellen (wie es auch Hans Küng in seiner Forschung zum Weltethos zu zeigen versuchte), sollen dann aber andererseits nicht mehr global gelten, sondern nur dort geschützt werden, wo es am bequemsten ist? „Sobald es aber um die Einhaltung und Kontrolle von sozialen Standards geht, denkt der Arbeitgeberpräsident plötzlich ganz lokal“, schreibt Kuzmany in einer Kolumne. Man könnte Kramer entgegensetzen, dass Unternehmen dann lieber dort bleiben sollten, wo sie den Schutz der Menschenrechte garantieren können. Doch wie gewährt man die Einhaltung der Menschenrechte in den globalen Lieferketten? Und welche Akteure sind für den Schutz der Menschenrechte verantwortlich?

CSR (Corporate Social Responsibility), also die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, hat sowohl in der wissenschaftlichen Theorie als auch in der unternehmerischen Praxis seit einigen Jahren an Bedeutung gewonnen. Am Anfang war CSR ein Konzept, das von der Freiwilligkeit der Unternehmen abhängt. So wird insbesondere von unternehmensnahen Stimmen betont, die eigentliche Idee hinter CSR dürfe nicht durch eine Überregulierung vernichtet werden. Doch hat die freiwillige Einführung von CSR-Maßnahmen in Unternehmen wirklich dazu beigetragen, dass sich ethisch fragwürdige unternehmerische Entscheidungen und Handlungen verringert haben? In Anbetracht der immer noch dramatischen Lagen in Sweatshops in Südostasien oder Diamantenminen in Afrika müsste man die Frage leider verneinen.

Der Wirtschaftsethiker Karl Homann benutzt eine Fußballanalogie, um seine Ideen anschaulich zu beschreiben. Im Fußball gibt es Spielregeln und Spielzüge. Die Spielregeln werden institutionell bestimmt, während die Spielzüge von den Mannschaften, Trainer*innen und Spieler*innen ausgearbeitet, erprobt und schließlich durchgeführt werden. Ähnlich sei es auch in der Wirtschaft. Der systematische Ort der Moral ist die gesetzliche Rahmenordnung, weswegen Unternehmen die wesentliche Aufgabe haben, sich systemkonform und anreizkompatibel zu verhalten. Die Rahmenordnung bzw. die Spielregeln sollen die sich korrekt verhaltenen Unternehmen vor Trittbrettfahrern beschützen. Gäbe es nur freiwillige soziale oder ökologische Standards, könnte es passieren, dass Unternehmen diese Standards unterbieten und dadurch günstigere Endpreise für ihre Produkte wählen könne. Das könnte dann dazu führen, dass die Unternehmen, die sich an die freiwilligen Standards halten, aus dem Markt getrieben werden.

Vor dem Hintergrund der globalisierten Welt, die durch Handel und Digitalisierung immer näher zusammenrückt, gelangen aber auch Menschenrechtsverletzungen immer häufiger an die Öffentlichkeit. Sollte man Arbeiter*innen an fernen Orten, die Produkte verarbeiten oder Material herstellen, die bzw. das letztlich von uns konsumiert werden, nicht helfen, indem man die gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechend anpasst? „Wenn man Kindern in Bangladesch gesetzlich verbietet zu arbeiten, kann die Familie erst recht nicht überleben“, lautet eins der vielen Argumente der Kritiker*innen von gesetzlichen Regelungen. Das mag wahr sein, ändert aber zunächst nichts an der ethischen Falschheit dieser Praxis. Unternehmen und lokale Regierungen müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, die alle Anspruchsgruppen zufriedenstellen. Denkbar wäre in diesem konkreten Beispiel, Kinder zwischen 13 und 15 Jahren zu erlauben, vier Stunden am Tag zu arbeiten und danach unter Betreuungsangeboten den Schulstoff nachholen. In diesen Fällen zeigt sich, dass Karl Homanns Ansatz zu kurz gedacht ist. Unternehmen sollen sich nicht nur anreizkompatibel und systemkonform verhalten, sondern seien tatsächlich selbst moralische Akteure, betont zum Beispiel Christian Neuhäuser. Als solche muss man gemeinsam im fairen Dialog mit allen Anspruchsgruppen nach Lösungen suchen. Aber damit wären wir mitten in dem großen Schulenstreit der deutschsprachigen Wirtschafts- und Unternehmensethik. Was können wir festhalten?

Ich glaube, sowohl freiwillige Initiativen als auch gesetzliche Regelungen sind notwendig, um langfristig und nachhaltig moralisch bessere Zustände rund um wirtschaftliche Handlungen herzustellen. Einerseits kann CSR in Unternehmen freiwillig implementiert werden, durchaus auch als ein strategisches Instrument. Karl Homann beschreibt eine ‚Wettbewerbsstrategie‘. Das Ziel dieser Strategie ist es, direkt und unmittelbar die eigenen bzw. die unternehmerischen Interessen zu begünstigen, indem die moralische Vorzugswürdigkeit eines Produktes als Mittel zum Wettbewerbsvorteil genutzt wird. Es gibt allerdings auch die ordnungspolitische Strategie, die eine kollektive Selbstbindung eins Unternehmens an freiwillig soziale oder ökologische Standards anstrebt. Die ordnungspolitische Strategie macht das Eigeninteresse des Unternehmens indirekt und mittelbar geltend, da die kollektive Selbstbindung und die damit implizierte Veränderung der Rahmenordnung letztendlich auch zum eigenen Vorteil angestrebt wird.

Bei Menschenrechten hört allerdings andererseits die Freiwilligkeit auf: hier bedarf es an Gesetzen und deren konsequenter Kontrolle. Die Wirtschafts- und Unternehmensethik ist nämlich meines Erachtens nicht der ‚feuchte Traum‘ marktliberaler Theoretiker*innen und Praktiker*innen, sondern funktioniert nur effektiv mit strengen Regeln. Dass beim Thema Schutz der Menschenrechte nicht nur die lokalen Regierungen der Herstellerländer in die Verantwortung gebracht werden können, zeigt die Forschung klar. Zum einen halten viele Regierungen Löhne und Arbeitsstandards bewusst gering, um ausländische Investoren anzulocken. Zum anderen sind es häufig erst die kaufenden Unternehmen aus dem Westen, die mit Kostendruck und Nachfrageunsicherheit einen intensiven Wettbewerb zwischen Zulieferunternehmen generieren. Diesem Druck geben die lokalen Unternehmer nach, indem sie ausbeuterische und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen schaffen, um die Kosten möglichst gering zu halten.

Es sollte in der modernen, digitalisierten und globalisierten Welt keine Unmöglichkeit mehr sein, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken kontrollieren zu lassen, in denen die eigenen Produkte hergestellt oder verarbeitet werden. Schafft man es als einzelnes Unternehmen nicht allein, könnte man im Branchenverband versuchen, Veränderung voranzutreiben. Und sollte es gar nicht gehen, die Lieferketten und Fabriken entsprechend zu überwachen, so muss man eben ‚zuhause‘ bleiben – auch das ist eine Strategie, die funktionieren kann, wenn man sich das Unternehmen Trigema anschaut! Aber im sicheren Deutschland zu sitzen, während man die Pläne der Regierung, die Einhaltung der Menschenrechte gesetzlich zu regeln, als unsinnig und absurd bezeichnet, zeugt nicht von Diskurs- und Argumentationsbereitschaft, kreativen Visionen und dem unbedingten Wunsch, moralisch schlechte Zustände zu verbessern – Attribute, die man von dem Inhaber einer solchen Führungsposition durchaus verlangen kann!

Euer Sebastian

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